«Veganer haben nicht per se schönere Haut»
Das Interesse an unserer Haut ist so gross wie noch nie. Und die Frage, wie man sie richtig pflegt, um sie gesund und jugendlich zu erhalten, interessiert nicht nur die milliardenschwere Beautyindustrie. Die Medizin forscht im Bereich der auf DNA basierenden personalisierten Pflege, die helfen könnte, Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder Rosacea erfolgreicher zu behandeln. Und natürlich ist der Schutz vor Umwelteinflüssen wichtiger denn je. Denn nicht nur übermässige Sonneneinstrahlung schadet der Haut, auch eine aggressive und übertriebene Pflege sowie eine zuckerreiche Ernährung werden immer häufiger genannt, wenn es darum geht, was der Haut schaden kann.
Die Dermatologin und plastische Chirurgin Inja Allemann erklärt, warum ein «Sugar Face» nicht wirklich attraktiv ist, weshalb es keine teuren Pflegeprodukte für die Hautgesundheit braucht und warum es unserem Gesicht und seiner Ausstrahlung nicht schadet, wenn wir mit zunehmendem Alter etwas mehr Speck auf den Rippen haben.
Wenn ich heute in den Spiegel schaue, sehe ich ein typisches Wintergesicht: blasse Haut, die irgendwie teigig wirkt, ohne jede Ausstrahlung. Sind daran vielleicht die zahlreichen Süssigkeiten schuld, die ich regelmässig in der kälteren Jahreszeit esse?
Ja, das könnte durchaus sein. Der Begriff «Sugar Face» wurde kreiert, um genau diesen negativen Effekt von Zucker auf unsere Haut zu bezeichnen. Durch einen hohen Blutzuckerspiegel nehmen die kollagenen Fasern der Haut Schaden, denn der Zucker verbindet sich mit ihren Proteinen, lässt sie verhärten und brüchig werden. Auch verarbeitete Kohlenhydrate, wie sie beispielsweise in Weissmehl vorkommen, haben denselben Effekt. Unser Körper spaltet sie in Zucker auf, der dann schnell ins Blut gelangt. Aber vielleicht ist Ihre Haut auch zusätzlich etwas fahl, weil Sie noch nicht auf die korrekte Winterhautpflege gewechselt haben.
Braucht unsere Haut im Winter denn eine andere Pflege als in wärmeren Jahreszeiten?
Eine unkomplizierte, eher fettige Haut ist in der kalten Jahreszeit meist unproblematisch. Anders die trockene bis sehr trockene Haut, wie die Ihre. Sie wird in der kalten Jahreszeit noch trockener und braucht dann mehr wasserunlösliche Fette, die man Lipide nennt. Diese sorgen für den Schutz vor äusseren Einflüssen wie beispielsweise der Kälte. Aber auch bei älteren Menschen oder solchen, die an Neurodermitis oder anderen Hauterkrankungen leiden, können sich in der kalten Jahreszeit bestehende Hautprobleme verstärken.
Wie merke ich, dass meine übliche Gesichtspflege nicht mehr ausreicht?
Wenn die Hautbalance gestört ist, beginnt sich die Gesichtshaut zu röten. Sie kann spannen und jucken. An besonders trockenen Stellen können sich schuppige, entzündete Stellen und kleine Risse bilden. Man fühlt sich dann buchstäblich nicht mehr wohl in der eigenen Haut.
Die ist aber noch kein Fall für die Dermatologin?
Eine sonst gesunde Haut ist durchaus in der Lage, sich zu regenerieren. Vorausgesetzt, sie wird mit rückfettenden, auf Öl basierenden Produkten gepflegt. Auch bei der Reinigung sollte man auf rückfettende Produkte setzen. Schaum- und Gelreiniger kann man dann in der wärmeren Jahreszeit wieder brauchen.
Zu häufiges Duschen entzieht der Haut Feuchtigkeit und Fette: Ihre Balance ist gestört, weil die Hautbarriere nicht mehr funktioniert.
Gelten diese Pflegehinweise auch für den Körper? Dann wären die stundenlangen Schaumbäder, die im Winter so angenehm sind, also eher suboptimal?
Ja, und es «braucht» nicht einmal lange und heisse Bäder, damit die Haut austrocknet. Schon zu häufiges Duschen mit den verschiedensten Seifen und parfümierten Lotionen entzieht der Haut Feuchtigkeit und Fette: Ihre Balance ist gestört, weil die Hautbarriere nicht mehr funktioniert. So können auch schädliche Bakterien und Pilze in die Haut gelangen.
Was kann man bei kalten Temperaturen und Feuchtigkeitsverlust sonst noch Gutes für die Haut tun?
Es kommt darauf an, ob man meistens im Büro oder in der warmen Stube sitzt oder sich viel im Freien aufhält und in den Bergen Sport treibt. Gut sind sogenannte Feuchtigkeitsbinder wie Hyaluronsäure, Glyzerin oder Urea. Denn die Fähigkeit der Haut, Feuchtigkeit zu speichern, lässt bei kalten Temperaturen zunehmend nach. Die Tagespflege sollte reichhaltiger sein. Optimal sind auch Cremen mit Ceramiden oder Lipiden. Sportler, die draussen trainieren, und Menschen, die draussen arbeiten, könnten zusätzlich eine Pflege verwenden, die die Haut quasi abdichtet. Und natürlich ist hier der UV-Schutz extrem wichtig.
In den Bergen Schutzfaktor 50, in der Stadt 30?
50 für den Schutz in den Bergen oder auch für einen längeren Spaziergang. Sonst ist 30 okay. Zwar ist es für die Vitamin-D-Synthese wichtig, täglich ungefähr 30 Minuten Tageslicht zu tanken, doch durch die geringe Pigmentierung der Winterhaut verbrennt diese auch schneller. Darum rate ich auch, regelmässig Vitamin D – in welcher Form auch immer – während der düsteren Monate einzunehmen.
Stimmt es eigentlich, dass die Haut dünner wird, je älter wir werden? Ja, sie wird nicht nur dünner, sondern auch durchscheinender. Bei sehr alten Menschen wirkt sie manchmal wächsern wie Pergament. Das kommt auch daher, weil durch das fehlende Unterhautfett die fragilen Blutgefässe sichtbar werden.
Ein bisschen mehr Gewicht kann beim Älterwerden ein Vorteil sein.
Es gibt den Spruch, dass sich eine Frau ab 40 entweder für ihr Gesicht oder ihren Po entscheiden muss. Keine einfache Entscheidung?
(lacht) Das hat durchaus etwas Wahres. Ein bisschen mehr Gewicht kann beim Älterwerden ein Vorteil sein, denn eher mollige Menschen haben oft ein fülligeres Gesicht. Im Gegensatz dazu können Frauen, die ein ganzes Leben auf Diät waren und vielleicht auch noch geraucht haben, ihre Figur selbst in fortgeschrittenem Alter halten. Ihre Gesichtshaut wirkt aber meistens weniger straff und ist faltiger. Das macht alt. Eigenfettinjektionen könnten dieses Volumen wieder auffüllen.
Vor dem Gang zur Schönheitschirurgin wird, besonders von Frauen, gesalbt und gecremt, was das Zeug, oder besser gesagt, was das Gesicht hält. Muss Kosmetik teuer sein, damit sie wirksam ist?
Es gibt gute und preiswerte Produkte, die der Haut genau das geben, was sie braucht: Schutz und Pflege. In kostspieligen Beautyprodukten steckt neben ausgesuchten Ingredienzien auch eine Menge Forschung. Und natürlich zahlt die Konsumentin ebenfalls die Werbung. Doch egal, ob günstig oder teuer: Pflegeprodukte haben ihre Grenzen, vor allem dann, wenn es um das erhoffte Anti-Aging geht. Ihre Wirkung bleibt kosmetisch und kann uns nicht zehn Jahre jünger machen.
In letzter Zeit hört man immer wieder den Begriff des Mikrobioms, wenn es um Hautgesundheit geht. Was muss man sich darunter vorstellen?
Das Mikrobiom umfasst die Gesamtheit aller Mikroorganismen in unserem Körper, also Bakterien und Pilze. Unsere Haut ist gesund, wenn das Mikrobiom in Balance ist. Es ist eine Art natürlicher Schutzschild, welchen man nicht nur in der Haut findet, sondern überall in unserem Körper. Zum Beispiel auch in unserem Darm, wobei dieser Schutzschild in letzter Zeit besonders gut erforscht wurde.
Welche Eindringlinge können der Haut schaden, wenn sie nicht in Balance ist?
Beispielsweise Allergene oder umweltbedingte Reizstoffe, die bei einer gesunden Haut, also bei einem stabilen Mikrobiom, nicht eindringen können. Denn dessen gute Bakterien scheiden Stoffwechselprodukte aus, die schädliche Bakterien unschädlich machen. Und ist dieser natürliche Schutzschild gestört, kommt es zu vermehrter Trockenheit. Aber auch zu viel Pflege kann zu Rötungen, Juckreiz usw. führen.
Pre- und probiotische Produkte sollen neuen Forschungen zufolge die Darmgesundheit fördern. Können solche Produkte auch gut für die Haut sein?
Sicher können solche Produkte auch für eine gesunde Hautflora sorgen. Wenn Probiotika, also lebende Mikroorganismen, einem Produkt hinzugefügt werden, können sich diese positiv auf das Hautbild auswirken. Dagegen sind Prebiotika quasi der Dünger für die «guten» Bakterien. Wie gross die Wirkung heutiger Produkte ist, ist allerdings noch nicht genau erforscht.
Eine personalisierte, DNA basierte Hautpflege ist keine Science-Fiction mehr.
Ein weiterer Begriff, der in der Medizin und in der Ernährung immer wieder genannt wird, ist das Genotyping. Ist eine auf DNA basierende Hautpflege auch ein Thema in der Dermatologie?
Personalisierte Pflegeprodukte, also Produkte, die ganz spezifisch für die individuellen Bedürfnisse der Haut entwickelt werden, sind sicher zukunftsweisend für die Hautpflege. Aktuell basiert die Personalisierung mehrheitlich noch auf der Unterscheidung der Hauttypen und spezieller Probleme. Sieht man sich gesamthaft die Entwicklung der Medizin und verschiedener Therapien an, so ist eine personalisierte, DNA-basierte Hautpflege keine Science-Fiction mehr. Zumal auch unser Alterungsprozess zu einem grossen Teil auf unsere Genetik zurückzuführen ist.
Damit könnten also auch Hautprobleme, die auftauchen, wenn die Haut nicht mehr in Balance ist, individueller therapiert werden. Auch Neurodermitis?
Durchaus. Neurodermitis, auch atopisches Ekzem oder atopische Dermatitis genannt, ist ein weitverbreitetes Problem. Hier ist die Hautbarriere gestört, sei es durch Gene, durch die Psyche oder durch Umwelteinflüsse. Bei einer Neurodermitis-Therapie ist die richtige Hautpflege sehr wichtig. Diese sollte möglichst rückfettend und reizarm sein, also ohne Parfüm, Konservierungsmittel und Farbstoffe. Eine Hautpflege, die auf der persönlichen DNA eines Menschen basiert und darum auf dessen individuelle Probleme und Bedürfnisse zugeschnitten ist, kann sicher spezifischer helfen.
Reden wir von Pickeln, die vor allem bei jungen Menschen im Übermass auftreten: Akne. Diese kann auch im späteren Erwachsenenalter auftauchen, zum Beispiel bei Frauen in den Wechseljahren.
Ja, das stimmt, ich habe viele Patientinnen, die in dieser Zeit eine Akne entwickeln. Das ist natürlich sehr belastend. Oft ist die Ursache eine hormonelle Umstellung. Der vermehrt gebildete Talg fliesst nicht mehr ab, Bakterien bilden sich und damit auch Pusteln und Papeln. Für mich als Dermatologin ist Akne, die in diesem Alter auftritt, eine Herausforderung, weil die klassischen Therapien häufig versagen.
Wie behandeln Sie Akne bei erwachsenen Frauen?
Es ist nicht immer einfach, eine konkrete Diagnose zu erstellen und zwischen einer Akne und Rosacea oder gar einer Mischform beider Hauterkrankungen zu unterscheiden. Ich behandle Akne bei jüngeren und älteren Frauen in erster Linie mit Cremen, die sich aber in ihrer Zusammensetzung unterscheiden. Während bei jungen Frauen die Aknetherapie auf austrocknenden Grundlagen basiert – die Haut ist hier meistens fettig –, ist das für eine reife Haut die falsche Methode, da diese altersbedingt zu Trockenheit neigt. Ich setze hier auf Hormone, Antibiotika und Vitamin A, die alle über eine längere Zeit eingenommen werden müssen.
Besonders übel ist Akne, wenn dadurch Narben zurückbleiben. Was kann man dagegen machen?
Aknenarben können mit verschiedenen aggressiven oder weniger aggressiven Lasertherapien, wie z.B. dem ablativen fraktionierten CO2-Laser, behandelt werden. Je nach Wahl des Lasers müssen die Behandlungen allerdings regelmässig wiederholt werden, damit ein guter Effekt ersichtlich ist.
In der kalten Jahreszeit sieht man auch immer wieder Menschen mit stark geröteten Wangenpartien. Ist dies eine Folge der Witterung?
Diese Rötungen nennt man Rosacea, sie ist typisch für hellhäutige Typen. Damit sind Entzündungen und Gefässerweiterungen gemeint, die sich oft als flächige, rote Flecken auf den Wangen zeigen. In einem weiteren Stadium können sich Papeln und Pusteln bilden. Und im fortgeschrittenen Stadium kommt es zu Gewebeveränderungen. Zum Beispiel bei älteren Männern mit grossen Nasen, die man fälschlicherweise mit übermässigem Alkoholkonsum assoziiert …
Die man als «Säufernasen» bezeichnet.
Ja, und das oft zu Unrecht! Oft ist der Grund eine unbehandelte Rosacea. Wenn diese rechtzeitig erkannt und medizinisch behandelt würde, würde man solche «grossen» Nasen nicht mehr sehen.
Kommen wir nochmals zurück zum Zucker. Wenn es um «gesunde Ernährung» geht, taucht so alle zehn Jahre ein neuer Bösewicht auf, dessen angeblich schädliche Wirkung nach einer Weile wissenschaftlich revidiert werden muss. Stichwort «böse Fette». Und aktuell ist eben der Zucker der Übeltäter. Etwas feines Süsses kann doch auch eine positive Auswirkung haben, z.B. auf unsere Psyche.
Da fragen Sie die Falsche. Ich bin ein Fleischtiger und habs nicht so mit dem Süssen. Aber zum Thema Zucker: Zucker kommt in allen kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln wie Obst und Gemüse, Getreide und Milchprodukten vor. Der Verzehr von Nahrungsmitteln, die «natürlichen» Zucker enthalten, ist in Massen in Ordnung. Nahrungsmittel mit einem hohen glykämischen Index wie z.B. Weissbrot und Süssigkeiten sollten jedoch gemieden werden, da sie einen Anstieg des Insulinspiegels auslösen, was zu Entzündungsprozessen im Körper und in der Haut führen kann. Das wiederum kann über die Induktion bestimmter Enzyme zu einem Abbau kollagener und elastischer Fasern führen.
Die Ernährung ist ein grosses Thema, wenn es um die Hautgesundheit geht. Führen Schokolade und Chips wirklich zu Pickeln?
Ein direkter Zusammenhang zwischen Schokolade, Chips und Akne ist nicht wissenschaftlich belegt. Bei der Milchschokolade könnte man sich eine Verschlechterung der Akne durch einen hohen Milchprodukte- und Zuckeranteil erklären.
Vitamin-A-haltige Lebensmittel wie Broccoli oder Rüebli können sich positiv auf die Entwicklung der Hautalterung auswirken.
Gibt es gewisse Lebensmittel, die einen nachgewiesenen positiven Einfluss auf eine gesunde Haut haben?
Eine saisongerechte, ausgewogene Ernährung mit vitaminhaltigen Früchten und Gemüse sowie guten Fetten kann nicht nur einen positiven Effekt auf das Hautbild, sondern auch auf unsere Gesundheit haben. Genauso wie Zucker oder verarbeitete Lebensmittel im Ruf stehen, diese ungünstig zu beeinflussen. Vitamin C und Vitamin E sind Antioxidantien, die oxidativen Stress zu neutralisieren vermögen, der verschiedenste negative Folgen für unsere Haut hat. Beeren wie z.B. Blaubeeren sind reich an Antioxidantien. Vitamin-A-haltige Lebensmittel wie Broccoli oder Rüebli können sich positiv auf die Entwicklung der Hautalterung auswirken und den Lipidgehalt unserer Haut balancieren. Omega-3-Fettsäuren «fetten» unsere Haut quasi von innen und helfen, dass die natürliche Hautbarriere durch die Zusammensetzung der Lipide intakt bleibt. Reich an Omega-3-Fettsäuren sind z.B. verschiedene pflanzliche Öle und fetter Fisch.
Haben Veganer und Vegetarier eine schönere Haut als Fleischesser?
Mir sind diesbezüglich keine Studien bekannt. Es sind ja nicht primär Fleisch und andere tierische Produkte, die sich negativ auf unser Hautbild auswirken, sondern wie bereits erwähnt Zucker und oxidativer Stress. Darum würde ich behaupten, dass Veganer und Vegetarier nicht per se eine schönere Haut haben.
Wie halten Sie es selber mit der gesunden Ernährung?
Wie schon gesagt, ich bin eine grosse Fleischesserin, mag aber keine Früchte. Sie sehen, auch ich bin diesbezüglich bei meiner Ernährung nicht immer konsequent. Ich habe allerdings im Vergleich mit meinen Freundinnen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, keine schlechtere Haut. Es gibt so viele andere Einflüsse, die über ein Hautbild entscheiden. Das fängt bei der Genetik an, geht weiter zur Frage, wie man seine Haut schützt oder geschützt hat, welchen schädlichen Einflüssen sie ausgesetzt wurde, wie man sie pflegt usw. Und selbst wenn es möglich wäre, alle schädlichen Einflüsse auszuschliessen, bleibt sie eigenwillig. So kann sie plötzlich auf Dinge und Einflüsse reagieren, die wir uns nicht erklären oder die wir nicht kontrollieren können. Unsere Haut führt manchmal einfach ein Eigenleben. Aber das ist ja auch spannend und interessant. Jedenfalls aus medizinischer Sicht.
Dieses Interview erschien am 03.02.2020 auf tagesanzeiger.ch